
Für alle, die die erste Episode von „Die Prinzessin der Toten“ (Berlin Monsters 1) schon gelesen haben und das Erscheinen der nächsten nicht abwarten können, gibt es hier einen Auszug aus dem folgenden Kapitel! Viel Spaß!
Bitte beachte, dass es sich bei dieser Version um eine unredigierte Fassung handelt! Die veröffentlichte Episode ist vollständig überarbeitet.
Erde II, 2156 (214 Jahre nach der Großen Katastrophe)
Berlin, Zitadelle Spandau
Lana stand Christiano direkt gegenüber und spürte, wie ihr Kiefer nach unten klappte. Sie konnte die Bewegung gerade noch stoppen. So wie die Worte, die versuchten, sich mit scharfen Krallen den Weg aus ihrer Kehle freizukratzen, aber an dem arroganten Arschloch bloß so wie alle anderen abprallen würden. Also schwieg Lana, versuchte, ruhig zu bleiben, obwohl alles in ihr schrie. Der Tod der drei Jungen färbte die Innenseiten ihrer Lider rot.
„Das Protokoll“, brachte sie hervor.
Christiano schnaufte verächtlich, trat an ihrer ausgestreckten Hand vorbei über die letzten Aschehäufchen der Zigarette, die es ihr aktuell ermöglicht hatte, so ruhig zu bleiben, an Maduans Tisch heran, und nahm den Füllfederhalter, den ihr Vertrauter ihm zusammen mit einem Bogen Papier hinüberschob. „Dann wollen wir mal“, sagte er sarkastisch und warf einen kurzen Blick zu seinem Freund. „Drei Jungen tot, bezeugen Christiano und Jacob Revlani.“
Sein Begleiter riss genauso überrascht wie Lana die Augen auf, aber anders als er, bekam sie sogar ein Lachen und Worte heraus. „Ein Revlani soll das sein? Was hat ihn zum Revlani gemacht? Du?“
Christiano wusste genau, was für einen Brocken er ihr da vorgeworfen hatte. Die ganze Hinrichtung hatte er mit stoischer Miene verfolgt, aber jetzt sah sie einen Funken Angst in seinem Blick, der immer noch auf seinem Freund ruhte, als könnte dieser ihm helfen, zurückzunehmen, was er einfach so dahingesagt hatte. Er murmelte irgendetwas Undeutliches und meinte dann: „Wer den Namen des Clans trägt, gehört zum Clan.“
Lana zog ein letztes Mal an ihrem Zigarettenstummel. Dann stemmte sie die Linke in die Hüfte. „Ja, das ist Cantara-Gesetz. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf eure Situation zutrifft.“
Der Stift zitterte leicht in Christianos Hand, unterschrieben hatte er immer noch nicht. Die Unruhe seines Begleiters konnte sie selbst auf die Distanz zwischen ihnen spüren. Wenn das ein echter Revlani war, würde sie die Schiffermütze fressen, die der Typ so gar nicht passend zu seinem abgegriffenen Anzug kombiniert hatte. Er war ganz sicher weder ein Clansmann, noch ein direkter Verwandter ihres Cousins. Zwischen dem Burschen mit den wachsamen, grauen Augen und dem gepflegten Stoppelbart, der stets irgendeine Kopfbedeckung über seinen strohblonden Haaren trug, und Christiano bestand keinerlei Ähnlichkeit; aber zwischen den Revlani und den Confera seit Jahren ein schwelender Konflikt. Sich ausgerechnet in der Zitadelle, die von Confera-Geld bezahlt wurde, mit einem echten Revlani sehen zu lassen, wäre ein offener Affront gegen ihren Vater gewesen, den dieser nicht einmal Christiano durchgehen lassen würde.
„Und ich frage mich, was das über dich aussagt, Christiano Revlani? Zu welchem Clan gehörst du? Zu deinem eigenen?“ Sie sah ihn die Lippen zusammenpressen und triumphierte. Vor zwölf Jahren hatte ihn ihr Vater ihr vor die Nase gesetzt, als Sohn, den er nie besessen hatte. Christiano bekam alles von ihm, aber seinen Namen hatte er nie angenommen. Mittlerweile wusste Lana auch wieso. „Ich meine, sicher, mein Vater handhabt das alles ein wenig laxer, aber ich dachte immer, Clanzugehörigkeit hätte etwas mit Geburtsrechten und Familie zu tun. Was würde er sagen, wenn er wüsste, dass du dir deine eigene kleine Wahrheit zusammenbastelst?“ Sie kannte die Gerüchte, dass Christiano sich angeblich seinen eigenen Clan aufbaute. In der Vorbereitung der kommenden Nacht war sie mehr als einmal auf Anzeichen dafür gestoßen. Aber ob ihr Vater auch davon wusste?
Christiano antwortete nicht. Er schnaubte bloß, unterschrieb endlich, und Lana machte eine weitere Notiz auf der Liste der Dinge, die der mächtige Synças Confera wissen würde, wenn der kommende Abend vorbei war.
„Du bist doch nicht zurechnungsfähig“, meinte Christiano, als er an ihr vorbeitrat. Aber seine Stimme klang unsicher.
„Auf meine Zurechnungsfähigkeit würde ich es nicht ankommen lassen“, sagte sie leise.
Christiano schenkte bloß den Resten ihrer Zigarette einen mitleidigen Blick. Er stopfte sich einige hellbraune Locken zurück in seinen Nackenknoten, während sein Freund neben ihm das Papier unterzeichnet. Und dann verließen die beiden den Raum, ohne ein weiteres Wort, ohne ein Anzeichen von Fluchtgefühlen, Christiano wieder der gleiche abgebrühte Mistkerl wie zuvor. Wie machte er das immer?
Das Sicherheitspersonal schloss hinter ihnen die Tür. Es wurde still, alle warten wieder auf Lana, und mit der Stille schien die Kälte in den Observationsraum zurückzukehren. So als hätte jemand die Glasscheibe zur Arena geöffnet, durch deren offenes Dach der Schnee wirbelte.
Maduan räusperte sich, und neben Lana fröstelte Aura, aber sie konnte das Mädchen noch nicht gehen lassen. Sie musste ihre Vorbereitungen jetzt beenden, sonst würde sie der Zweifel an ihren Plänen die ganze Nacht in den Wahnsinn treiben.
Lana zündete sich eine neue Zigarette an, nahm einen tiefen, beruhigenden Zug davon, und wandte sich zu Aura um, eingehüllt in Rauch und ein halbherziges Lächeln. Das Mädchen machte sofort wieder einen Schritt zurück. Das alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn Aura ihr nicht so leid getan hätte. Sie erinnerte Lana viel zu sehr an ihre Vorgängerin. Und Greta hatten sie vor ein paar Monaten erhängt in der Wäschekammer auf dem Flur gefunden, direkt vor Lanas Apartment.
Sie hörte wieder das Flüstern ihrer anderen Dienerinnen: „Schon wieder eine! Dieser schreckliche Ort!“ Dabei war es nicht dieser Ort, der das mit den Mädchen machte. Es war eine weitere freundliche Erinnerung ihres Vaters gewesen, dass Lana in ihnen nicht mehr als Dienerinnen sehen sollte. Sie hatte Greta gemocht. Es hatte schon viele Erinnerungen dieser Art gegeben, aber leider fiel es Lana immer noch schwer, sich von den Mädchen zu distanzieren, gerade wenn sie so zerbrechlich aussahen wie Aura. Vermutlich hatte ihr Vater sie nur deshalb ausgewählt.
Lana biss die Zähne zusammen. Ihre Gefühle hatten sie bisher nicht weitergebracht und jetzt, da Christiano endlich weg war, musste der nächste Teil des Abends beginnen. Aura würde schnell lernen müssen. Und Maduan die ein oder andere Kröte schlucken.
Sie lehnte sich zu ihrem Vertrauten hinüber.
„Schade“, sagte sie, „dass wir keinen Cantara mehr gehabt haben, den wir hätten verheizen können.“
Maduan sah sie zweifelnd an, warf einen Blick auf ihre Zigarette. Dabei war sie nicht bekifft, sie zehrte nur noch von ihrer Wut auf Christiano. „Denn dann hätte dieser Bastard noch ein wenig länger zusehen müssen.“ So wie wir alle anderen auch!, fügte ihr Kopf stumm hinzu, und sie versuchte, ihn panisch zu übertönen: „Am besten gleich einen Revlani!“
„Lana…“, begann Maduan erwartungsgemäß.
Sie fuhr zu ihm herum, fing seinen jetzt drohenden Blick auf. Es half ihr ungemein, dass sie jeder in diesem Raum für unzurechnungsfähig zu halten schien, so wie alle sie ansahen… „Beruhig dich!“, sagte sie zu Maduan. „Wir haben ja keine Cantara mehr. Mein vorausschauender Vater hat sie alle für die Silvesterspiele eingeplant, nicht wahr? 150 Mann, den ganzen Dragowicz-Clan!“
Der Stoff von Maduans fein in Perlmutt durchgeknöpftem Hemd, spannte sich über seiner breiten Brust, als er sich zurücklehnte und die Arme darüber verschränkte. Auch wenn sie weiß gekleidet waren, sie beide waren in etwa so unschuldig wie Jenn hinter der Scheibe. Dieses Wissen machte es ihr einfach, hinzuzufügen: „Aber zum Glück sind wir ja hier, um das zu ändern.“
Maduan schluckte den Köder sofort. Er ruckte wieder vor, sein Tonfall wurde offiziell. „Çasima?“, fragte er, als hätte er sich verhört.
Aura wich noch ein Stück weiter nach hinten zurück, in Richtung der Scheibe – obwohl Lana nicht gerade den Eindruck hatte, dass sie Jenn gerne freiwillig näher gekommen wäre… Offenbar war Aura nicht nur eine gute Beobachterin, es gelang ihr auch sofort wieder, Lana leidzutun, weil ihr plötzlich sehr bewusst war, was sie dem Mädchen gleich antun würde. Aber beide Qualitäten brauchte Aura nun. Vielleicht würden sie ihr sogar das Leben retten – anders als all den anderen vor ihr.
*
„Beenden wir diese Vorstellung für heute“, sagte die Çasima. Maduans Augen wurden wieder schmal. Ihn misstrauisch zu sehen, alarmierte Aura beinahe mehr als Lanakins Betonung, die eindeutig auf diese lag. Kälte rieselte über ihre Haut, obwohl in dem großen Marmorkamin neben der Sitzgruppe immer noch ein Feuer prasselte, das sie allesamt hätte verschlingen können.
Unwillig nickte Maduan den Arenadienern zu, die hinter dem Glas nur auf ein Zeichen gewartet hatten. Die Seitenwände vor den großen äußeren Panoramafenstern der Exekutionsetage wurden geschlossen, ein Zeichen für jeden unten in der Stadt, der müßig genug war, mitten in der Nacht seinen Blick zum Gefängnisturm zu erheben, dass es wieder einmal vorbei war. Die Klappen vor den großen Lichtschächten in der Decke schnitten das Licht des Wintermondes ab, der das Arenarund, die Toten und die dampfenden Blutlachen im schneebedeckten Sand milder beleuchtet hatte als die großen Gasleuchten, die nun ebenfalls verloschen.
Eigentlich war das der Moment, um aufzuatmen. Aber heute wollte sich die Dunkelheit nicht auch gnädig auf Aura legen. Heute blieb sie so allein zurück wie Jenn in der Arena, mit pumpender Brust und kondensierendem Atem vor den leicht geöffneten Lippen. Sein Blick zog ihren an, während sie sich bemühte, nicht die Çasima anzusehen, nicht ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Ihre Vorstellung war noch nicht vorbei.
„Aura, wirst du etwas für mich tun?“
Die Sätze, die die Çasima üblicherweise an sie richtete, fingen mit du wirst, du sollst oder du musst an. Sie waren nie als Frage formuliert. Obwohl das diesen Satz umso verdächtiger machte, gab es keine andere Antwort als: „Natürlich, Çasima.“
Sie hob den Kopf, sah Lanakin an – durchhalten! In der kommenden Nacht war Silvester und sie für das Neujahrsfest zwei Wochen lang nach Hause beurlaubt. Sie würde es nicht rechtzeitig zu den eigentlichen Feierlichkeiten schaffen, aber das spielte keine Rolle. Zwei Wochen ohne die Todesangst der Zitadelle, ohne die anzüglichen Blicke des Wachpersonals, wenig zufällige Berührungen und fremde Hände auf ihrem Körper. Auch wenn ihre Mutter sie zweifellos die ganze Zeit im Landhaus der Familie einschließen würde, damit sie kein neues Unheil anrichten konnte, sie hat ihr noch immer gestatten, wenigstens Sascha zu sehen. Und die Aussicht auf ein Wiedersehen mit ihrer Freundin war aktuell das Einzige, das sie an diesem Ort noch am Leben erhielt. Wenn es dafür einen letzten absurden Wunsch der Çasima zu erfüllen gab, dann sollte es so sein.
© 2018-2019 Stefanie Dettmers. Alle Rechte vorbehalten!
Fortsetzung folgt! Dann werden blutige Aufträge enthüllt und mein Herzenskenker Jenn hat seinen ersten großen Auftritt!
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