Finde deine Erzählstimme!
Ich mag meine Schriftstellerstimme. Ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen kann, dass sie immer funktioniert, wenn ich im Schreibmodus bin. Ich brauche keine besondere Stimmung, nur Ruhe und Zeit und eine Story, die ich liebe, und es geht los.
Aber das war zwischendurch mal ganz anders.
Im letzten Jahr fiel mir auf, dass sich meine Erzählstimme verändert hatte, irgendwie seltsam klang, gar nicht mehr nach mir, sondern steril und oberflächlich.
Ich konnte es nicht fassen. Was war bloß passiert? Hatte mich etwa mein Schreibmojo verlassen? (OHA! Supergau!)
Überleg mal: Was ist für dich das Schönste am Schreiben? Na, das Schreiben, eine Geschichte zu erfinden, oder? Und danach? Gelesen zu werden?
Genau. Wenn du nicht gerade ein Tagebuch verfasst, möchtest du doch andere Menschen mit deiner Geschichte erreichen. Für mich war es ein Geschenk des Himmels, als ich vor einigen Jahren wie die Jungfrau zum Kind zu einer Literaturagentur kam, die meinen ersten Roman (und meine Erzählstimme) genug mochte, um mich unter Vertrag zu nehmen, mir jedoch auch gleich zu Anfang klar machte, dass es mit dieser Geschichte schwer werden würde. Der Grund? Der Roman spielte in der Antike und der Protagonist war schwul. Es war eine römische, schwule Liebesgeschichte. So etwas ist selbst heute noch schwer am Markt zu positionieren. Ein großer Publikumsverlag kauft das nicht.
Ich habe diese Geschichte – an der ich noch heute mit ganzem Herzen hänge – tatsächlich nie verkauft. Sie schlummert in einer meiner Schubladen und wartet auf den richtigen Augenblick. Er wird in den nächsten Jahren sicher kommen, aber damals war diese Story der erste Bruch in meinem Panzer aus Schreibsicherheit.
Immerhin verkaufte sich Dank meiner Agentur mein zweiter Roman. Leider nicht an einen Publikumsverlag – so wie ich es mir immer erträumt hatte – sondern an einen kleinen Nischenverlag. Der Grund? Es war ein historischer Roman, der im 18. Jahrhundert, und genauer, in London spielte. Er hatte alles: eine heterosexuelle Heldin, romantische Lovestory, Gangster, sexy Stricher und Geheimbünde à go-go. Trotzdem: Kein Publikumsmagnet, sagten die Großen. Das war der nächste Dämpfer, aber egal, ich war glücklich, denn immerhin hatte ich ja etwas verkauft und konnte mir nun den Titel „Schriftstellerin, veröffentlicht“ ans Revers heften.
Ich schrieb mir diesen Roman von der Seele, erhielt einen ordentlichen Vorschuss, Mitspracherecht beim Layout und Lob des Verlages. Und dann? Passierte nichts… Von Verlagsseite wurde gar nichts unternommen, um das Buch wenigstens irgendwie strategisch zu platzieren. Selbst kleine Verlage sollten ein Interesse daran haben, von ihnen herausgegebene Bücher im Rahmen ihrer – finanziell oft begrenzten – Möglichkeiten zu bewerben, doch das geschah nicht. Und die Eigenvermarktungsmöglichkeiten für Autoren waren damals noch kam vorhanden. Mal gab es Überlegungen zu einem Hörbuch, mal die Möglichkeit wenigstens die internationalen Recht zurückzuerlangen. Aber im Wesentlichen passierte immer nur dasselbe: gar nichts. Meine Geschichte war weg. Und ich selbst vollkommen verunsichert: was wenn ich einfach nichts draufhabe?
Buchmarkt vs. Stefanie : 2:0
Es schien wie ein Fluch: egal, welchen Stoff ich in den folgenden Jahren auch entwickelte und anbot, nie traf ich den Nerv. Und ohne es zu merken, stellte ich mich selbst in Frage, nicht das System.
Ich war nie bereit, mich zu verbiegen, meine Geschichten und Ideen marktkonform abzuändern, wenn es um große Eingriffe in die Storystruktur ging (die römische Geschichte hätte ich zum Beispiel mit einer heterosexuellen Lovestory damals verkaufen können, auch wenn das den Inhalt völlig auf den Kopf gestellt hätte). Ich schreibe Bücher, weil ich etwas zu erzählen habe, und nicht um einen Trend zu bedienen. Aber auch wenn ich wusste, dass ich so wenigstens meinen Idealen und damit mir selbst treu blieb, angefressen hat mich die Sache schon. Und zwar so sehr, dass ich schließlich aufgehört habe, meine Ideen anzubieten. Ja, schlimmer noch: als ich beschlossen hatte, dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten und den Weg als Indieautorin weiterzugehen, stellte ich auf einmal fest, dass sich etwas verändert hatte: meine Erzählstimme. Plötzlich klang sie gestelzt, geziert und aalglatt.
Ich hätte kotzen mögen. Und Buchmarkt vs. Stefanie: 20:0
Vor dem Hintergrund mich nun selbst verkaufen zu müssen, war ich plötzlich stärker denn je dem Markt hinterhergelaufen, achtete auf Trends und verarbeitete sie in meinem Roman. Mit verheerendem Erfolg. Ich klang nicht mehr wie ich selbst. Und damit war nicht nur die Luft aus meinem Schreiben raus, auch der Spaß war weg. Schreiben wurde zu einer mechanischen Tätigkeit.
Das hat sich erst geändert, als ich radikal zu meinem alten Stil zurückgekehrt bin. Ich habe jede Veränderung der jüngeren Zeit (wie der Wechsel des Erzähltempus und -perspektiven) konsequent aus der Geschichte entfernt und höre nicht mehr auf die Stimme, die mir sagt, dass ich mir damit Chancen verbaue. Ich habe etwas zu erzählen und wenn das ganz anders klingt, als das, was im Moment im Trend liegt, dann ist das vollkommen in Ordnung.
Selbst, wenn du es an die Spitze schaffst, wirst du wieder fallen. Du bleibst nie lange ganz oben. Die Arbeit selbst ist die Belohnung. Das stille Glück, Dinge zu erschaffen.
Elizabeth Gilbert, Big Magic
Was wirklich zählt, ist nicht, was der Markt will. Sondern dass du die Geschichten schreibst, die dich fasziniert, die in deinem Kopf Endlosschleifen dreht und deinen Magen ganz flau macht. Nur darin liegt das eigentliche Vergnügen, das „stille Glück“ von dem Gilbert spricht. Nur so kannst du einzigartig klingen: indem du über die Dinge schreibst, die dein Herz schneller schlagen lassen, ohne dich zu verbiegen. Und nur so kannst du einzigartige Bücher produzieren, die gelesen werden.
Es ist okay, am Anfang seiner Schreibkarriere andere Autoren zu kopieren oder so klingen zu wollen wie sie. Dadurch lernst du viele Tricks. Aber indem du deine eigene Geschichte schreibst und dich in deinen Ideen nicht von den aktuellen Bedürfnissen des Marktes beirren lässt, schaffst du deine eigene Nische. Hätte J.K. Rowling das nicht getan, wäre sie heute nicht da wo sie ist.
Was der Buchmarkt braucht, sind einzigartige Geschichten, die herausstechen. Deshalb ist es so wichtig, dass du deine eigene Erzählstimme entwickelst. Natürlich kann es dir gelingen mit einer Copycatgeschichte einen Verlag auf dich aufmerksam zu machen, wenn dein Thema im Trend liegt. Aber dann bist du halt nicht die Einzige (schau dir mal die Tische in den Buchhandlungen an: auf einen Bestseller kommen 20 Bücher, die so klingen wie…). Und der Egokick ein Buch bei einem Verlag veröffentlicht zu haben, hält nicht besonders lange an, wenn du merkst, dass du nur ein kleiner Fisch im großen Teich bist und andere einfach viel bunter schillern.
Was deine Geschichte braucht, bist du! Keinen Trend: keine Kick-Ass-Heldin, wenn du eigentlich über Jungs schreiben willst, keine Ich-Erzählung, wenn du schon immer lieber Fantasyepen mochtest, keinen Regionalkrimi, wenn dein Herz nach Thrillern schreit (und umgekehrt). Deine Stimme entwickelt sich, wenn du genau das schreibst, was du selbst lesen willst.
Mir tut es heute immer noch um die Ideen leid, die ich nie weiterverfolgt habe, um all die Bücher, die nur deshalb heute nicht auf meinem Regal stehen, weil ich damals nicht stark genug war, um meiner Stimme zu vertrauen und mich durchzusetzen. Wenn ich zurückschaue, fällt mir auf, dass in meinen Projekten immer wieder Themen auftauchten, die später zum Trend wurden. Hätte ich einfach nur an ihnen festgehalten und darauf vertraut, dass meine Erzählstimme das Ding schon verkaufen wird, anstatt auf meine Agentur und den Markt zu hören, hätte ich heute wohl einen längere Liste an Veröffentlichungen vorzuweisen.
Bei der Arbeit als Schriftsteller geht es nur um eins: Schreib, finde deine Themen, deine Welten und finde deine eigene Stimme – was du schreibst muss nach dir klingen, ganz echt. Und dann behalte sie, egal welcher Sturm aufzieht. Wenn du gut bist und beharrlich, findest du deinen Platz im Marktgewirr. Du kannst es nicht jedem Recht machen. Aber dir selbst!
Ich will kreativ herausragen und dieser Teil meiner Ambitionen sorgt dafür, dass ich die Bücher schreibe, die ich liebe, und nicht dem Markt und seinem Geld nachjage.
Joanna Penn, The Successful Author Mindset
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