Kennst Du das? Du hast einen Run, ein genialer, produktiver Tag liegt hinter dir – und dann? Schleicht sich die Panik an. Verfolgst du wirklich einen guten Plan? Tust Du da eigentlich das Richtige? Investierst Du Deine Zeit überhaupt vernünftig? Oder ist alles nur eine große Lüge?
Ich habe mich die Hälfte meines Lebens durch Blockaden und Vermeidungstechniken vom Schreiben abhalten lassen, heute arbeite ich mit ihnen. Ich glaube nicht, dass ein Schriftsteller seine Ängste je ganz beherrschen kann, aber man kann lernen, sie in den Griff zu bekommen. Wenn man die Mechanismen kennt.
Für viele Kreative, unabhängig davon welcher Kunst sie nachgehen, bedeutet das Ausleben ihrer Leidenschaft eine Vielzahl an Ängsten. Oft fungieren Versagensängste als Türöffner oder spielen zumindest eine unterschwellige Rolle, doch es gibt auch subtilere Formen.
Sobald wir uns für ein Projekt entscheiden, kommt die Angst vor der Verantwortung. Schließlich steckt niemand Kraft und Energie in ein Projekt, das er nicht bis zum Ende durchzuziehen plant. Wenn uns das, was wir uns da vorgenommen haben, nicht so verdammt wichtig wäre, würde sich vermutlich keine einzige Angst bei uns melden.
Angst ist wie ein Kompass. Sie zeigt immer in die Richtung, in die es gehen muss. Oder das Thema, mit dem wir uns beschäftigen sollten.
Mir fällt es sehr schwer, mich festzulegen und ganz und gar einer Geschichte zu verschreiben. Nicht nur, weil ich noch so viele andere Ideen habe, sondern vor allem, weil ich dann nicht mehr kneifen kann. Ich muss mich mit dieser einen Geschichte auseinandersetzen, werde über Szenen verzweifeln und muss trotzdem weiterplotten, am Ball bleiben und die Charaktere weiterentwickeln, ohne das große Ziel aus den Augen zu verlieren… Und danach winkt nicht Zurücklehnen und Aufatmen, sondern die Überarbeitung, das Verkaufsfertigmachen, die Vermarktung, die Pflege von Social Media Kanäle. Was für ein gigantischer Wust! Und was für ein Druck! Bei Verlagsautoren, die Umsatz machen, übernimmt den letzten Teil der Verlag, aber bei den Allermeisten von uns bleibt die ganze Arbeit doch an uns selbst hängen. Wie soll man denn da nicht vor Angst zittern? Es gibt so viele Möglichkeiten zu scheitern!
Dieses Gefühl verschärft sich nur, je länger ihr im Geschäft seid und / oder wenn Eure Idee großangelegt ist, drei, vielleicht sogar vier oder fünf Bände umfassen soll. Es ist so leicht, es sich anders zu überlegen und nur mal eben schnell eine andere Story vorzuziehen. Aber wie wichtig ist uns die ursprüngliche Idee dann überhaupt gewesen, wenn es so einfach ist zu wechseln?
Manchmal schreibt man wirklich gerade nicht das Richtige und man sollte switchen. Aber manchmal wird es auch wie in der Liebe ernst, und wir wissen: jetzt ist es soweit. Jetzt gilt es.
Beim Schreiben ist es wie in einer Beziehung: irgendwann muss man sich festlegen und Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Dazu gehört auch die prinzipielle Bereitschaft, sich mit allen möglichen Hindernissen auseinanderzusetzen und an Problemen zu arbeiten. So wie in einer Beziehung.
Natürlich ist es viel sicherer, sich einfach nicht festzulegen, spielerisch von einer Geschichte zur anderen zu springen. Aber glaubt mir, irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem genau das sehr unbefriedigend wird, weil man nichts Konkretes leistet. Wir können uns nicht alle Türen aufhalten und gleichzeitig etwas Wunderbares erschaffen wollen. Dieser Play-Safe-Modus ist es, der uns daran hindert, Bücher zu schreiben. Und es ist verdammt schwer, ihn abzulegen. Denn so unbefriedigend die Situation auch ist, so unaufgeregt und risikoarm wirkt sie auch ungemein anziehend. Man muss keine unangenehmen Entscheidungen treffen oder sich zur Diskussion stellen. Das macht man alles „ein anderes Mal“, „später, wenn alles fertig ist“…
Mir ist diese vermeintliche Sicherheit zuletzt so auf den Wecker gegangen, sie hat mich so völlig blockiert, dass ich jetzt lieber mit schlotternden Knien dastehe – meinetwegen rund um die Uhr. Denn ich liebe mein aktuelles Projekt.
„Senca“ ist eine Mammutidee, aber das Buch meines Lebens. Eine Geschichte, die sich über viele Jahre mit mir weiterentwickelt hat, und vor der ich immer schon irgendwie Angst hatte (allerdings ohne mir das je eingestehen zu können). Jetzt, da ich mich ganz darauf eingeschworen habe, dieses Projekt durchzuziehen, kommt die Angst in regelmäßigen Schüben. Es ist so GROß. Jeden Tag kommen neue Ideen oder Pakete mit dem Equipment, das ich zu seiner Realisierung bestellt habe, es wird so ECHT, es ist wie eine Bedrohung. Ich komme mir vor wie ein Naturforscher im dichten Urwald, der jederzeit von seinen Gefahren verschlungen werden könnte.
Ich glaube, in Momenten, in denen die Angst so übermächtig daherkommt, übersehen wir gerne, dass unsere Projekte keine Bedrohungen sind, sondern Chancen und neue Wege, die wir zum ersten Mal gehen.
Der Zen-Buddhismus kennt den Begriff des „Beginner Mind“. Es ist so viel leichter mit einem Anfängerbewusstsein in diesen Urwald hineinzugehen. Wenn wir ein Buchprojekt als Abenteuer betrachten, jeden Schritt als Aufbruch in ein exotisches, unbekanntes Land, das von uns erforscht werden will, dann nehmen wir den Druck raus, etwas leisten zu müssen. In unserem Urwald gibt es keine hungrigen Löwen, nur uns selbst und unsere Figuren, die darauf warten, fest mit uns zusammenarbeiten zu dürfen. Weil wir uns für sie entschieden haben.
Alles, was ich ab jetzt tue, tue ich zum ersten Mal. Ich war früher Verlagsautorin, bei einer Literaturagentur unter Vertrag, und bin damit nie glücklich geworden. Jetzt alleine die Verantwortung zu tragen, bringt sehr viel Angst mit sich, aber es gibt mir auch endlich das Gefühl der Kontrolle zurück: alles, was ich tue, unterliegt meiner Kontrolle. Ich bestimme. Und das fühlt sich super an.
Was sind denn unsere Sorgen im Endeffekt? Sie zeigen uns doch nur, dass uns eine Sache besonders wichtig ist. Was für ein Verrat an unseren Träumen wäre es, wenn wir uns auf die Stimme einließen, die uns zuflüstert: „Das stehst du sowieso nie durch.“?
Hinzukommt ein völlig menschlicher Mechanismus: wenn wir viel geistige Arbeit geleistet und viele Entscheidungen getroffen haben (und dazu gehört jede Entscheidung, selbst die über das Butterbrot, das wir zwischendurch essen wollen), erschöpft sich unser Vorrat an Willenskraft. Psychologen konnten in zahlreichen Experimenten nachweisen, dass Personen, die an einem Tag viele Entscheidungen treffen mussten, mit zunehmender Zeit immer unzufriedener wurden, übellaunig, sogar gereizt und überemotional, und auch zu Fehlentscheidungen neigten. (Baumeister / Tierney, s. Literaturempfehlungen unten)
Nach einem langen kreativen Tag habe ich so viele Entscheidungen getroffen, dass ich keine objektiven Gedanken mehr für mich selbst übrig habe. Ich habe mich früher bis in die Nacht zerfleischt: „Alles, was du heute geschrieben hast, ist Müll! Du wirst nie ein Buch veröffentlichen! Dazu machst du auch viel zu lange Pausen! Und du bist sowieso völlig uncharismatisch! Dick, das bist du auch, weil du in den Pausen zu viel isst!“ Das Maschinengewehr läuft auf Hochtouren, wenn wir es nicht stoppen.
Ich bitte meinen Kopf, abends keine Kritik mehr an mir zu äußern. Wenn sie wichtig wäre, würde ich mich morgen damit auseinander setzen. Ich versichere Euch, „morgen“ spielen 98% dieser ganzen gekränkten Kleinigkeiten keine Rolle mehr. Mit einem ausgeruhten Kopf können wir sie nämlich wieder in Relation setzen, zu dem, was wir wirklich leisten, sind und lieben. Und sollten sie Euch auch einmal morgens keine Ruhe gönnen und tatsächlich eine echte Berechtigung haben, weil beispielsweise ein Schritt des Kreativprozesses nicht funktioniert, dann hilft es ungemein, sich rational z.B. in einem Tagebuch damit auseinanderzusetzen (ich führe dazu mein Kunsttagebuch, in dem ich mich nach Herzenslust ausheulen darf).
Wenn wir unsere Ängste als Kompass benutzen, helfen sie uns durch das Dickicht. Aber sie dürfen uns niemals von dem Weg abbringen, der uns am allermeisten am Herzen liegt. Ich bin viele Jahre abseits von diesem Weg gegangen und ich will nie wieder ins Abseits zurück!
Findet Euer Herzensprojekt, entscheidet Euch dafür, heiratet es oder macht einen Vertrag mit Euren Figuren. Und dann zieht es durch. Die Angst wird kommen und Euch sagen, dass Ihr genau das Richtige tut. Eigentlich ist sie Euer bester Freund. Atmet durch und schaut ihr ins Gesicht. Es gibt keinen ungefährlichen Weg. Aber sind wir Kreativen nicht in unseren abgründigen Herzen alle Abenteurer?
Literaturempfehlungen:
Roy Baumeister, John Tierney – Wenn der Wille schwach wird, in: Die Macht der Disziplin (Goldmann, 5. Auflage 2014) 113-136.
Eric Maisel – Mastering Creative Anxiety (New World Library 2011)
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