Ihr Lieben, ich heiße Stefanie und ich bin litera(ll)ry challenged: ganz im Wortsinn, aber auch literarisch herausgefordert. Mein Leben dreht sich seit ich denken kann zu einem Großteil um Bücher und Wissen. Ich habe schon immer gelesen. Und noch bevor ich das getan habe, habe ich geschrieben.
Dass das Ganze im Laufe meines Erwachsenenlebens zu einem riesengroßen Problem werden könnte, hätte ich nicht gedacht, als ich in der zweiten Klasse meine erste Geschichte vorgelesen habe. Immer wieder bin ich durch lange Phasen gegangen, in denen Lesen und Schreiben mehr Qual als Freude und Entspannung waren. Zahlreiche Ängste und Traumatisierungen, die vor allen Dingen aus meiner späteren Schulzeit stammen und denen meine Schritte in den Buchmarkt einiges an Schärfe verliehen haben, sorgten dafür, dass es irgendwann soweit war: erst konnte ich die Bücher anderer Leute nicht mehr lesen. Und dann meine eigenen nicht mehr schreiben. Totalblockade.
Die Grundlage dieser Schwierigkeiten ist jedoch kein Trauma, sondern etwas völlig anderes, etwas, das mir nie bewusst war: Ich bin hochsensibel und mental hocheffizient veranlagt. Wenn ich früher Ähnliches über andere Leute gehört habe, habe ich sie beneidet: haben die es gut! DIE haben die Anlagen, etwas Besonderes aus ihrem Leben zu machen, um superreich, selbstbestimmt und sexy zu werden! Heute weiß ich: nein, das haben sie nicht.
Wenn man so wie ich hauptsächlich mit der rechten, kreativen Seite des Gehirns denkt, fällt es einem zwar wunderbar leicht, komplexe Zusammenhänge zu durchschauen und künstlerisch tätig zu sein. Aber ein Gehirn, das ständig ÜBER-denkt und hinterfragt, das niemals damit aufhören kann, alles und jeden zu analysieren, macht einem das reale Leben nicht gerade leicht. Besonders, wenn man eigentlich gar nicht „anders“ sein will, aber immer wieder in diese Rolle hineingedrängt wird, weil alle anderen nämlich „normal“ sind und man in ihrem Spiegel einfach auffallen muss.
Ich bin das Mädchen, das bei Starbucks einen Toffee Nut Latte bestellt, aber keinen Muffin dazu nimmt, weil es weiß, dass es sich damit hoffnungslos vollkrümeln oder das Gebäck im Mund verkeilen wird, während zeitgleich das Buch zuklappt, das es auf den Knien balanciert, und der Kaffee drüberschwappt.
Ich bin der Büchernerd, der aus keiner Buchhandlung herauskommt ohne ALLE Abteilungen besucht zu haben, der Bücher über Quantenphysik genauso schätzt wie einen Lyrikband von Else Lasker-Schüler.
Ich bin der Geschichtsfreak, der dir ALLES von der frühmittelalterliche Malerei Roms, über Genderfragen in der Archäologie bis hin zur Entwicklung der menschlichen Kleidung vom Altertum bis in die Neuzeit erklären kann.
Und dann stolpere ich vor dir an der Supermarktkasse über meine eigenen Schnürsenkel – UND lasse die Milchetüte fallen. Auf deine Schuhe.
An guten Tagen habe ich einen Wordcount von 1000 pro Stunde, aber der fertige Text strotzt nur so vor Kommafehlern (mein Nemesis!) Die Label „zerstreuter Professor“ und „das Mädchen mit den Blitzideen“ kleben seit frühester Kindheit auf meiner Stirn.
Oh, Leute, ich will Euch nichts vormachen – ich liebe meine Blitzideen. Aber im selben Maße kämpfe ich mit ihnen wie mit einer Lebensbehinderung. Wer den Kopf immerzu in den Wolken hat, ist mit den Füßen wenig auf dem Boden. Und wenn man die Füße auf den Boden zwingt, bekommen die Ideen keine Luft mehr.
Ich glaube, man kann mit der ganzen Sache ziemlich gut erwachsen werden, wenn Hochbegabung frühzeitig erkannt und gefördert wird. Bei mir hat es einfach niemals jemand gemerkt (das war auch in der Zeit kein Thema). Obwohl es Anzeichen gab: ich habe schon vor der Grundschule angefangen, mir Schreiben beizubringen, ich mochte Mozart lieber als jeden Popstar, wollte unbedingt Geige spielen, hörte Opern und lernte Arien auswendig, ich habe Modelle von Goßsteingräbern nachgebaut, die Biographien römischer Kaiser aus Lexika abgetippt, und ich habe immer, immer geschrieben. Leider habe ich sehr früh gelernt, dass es besser ist, all das zu verstecken. Denn die Leute mögen es nicht, wenn man anders ist. Ich selbst ja auch nicht. Eigentlich wollte ich nichts lieber als nicht aufzufallen. Ich kam mir dumm vor, weil ich nicht so war wie die anderen, nicht ein Ziel hatte, nicht eine Begabung, nicht eine Vorliebe.
Ich habe mich mein Leben lang für ziemlich mittelmäßig gehalten. Den vollen Umfang meiner Problematik kenne ich erst seit gut 1 1/2 Monaten (mit der Recherche angefangen habe ich allerdings schon im Frühjahr 2017 nach einer völligen Sinnkrise, weil ich nichts mehr auf die Reihe bekam). Die Erleichterung, endlich zu verstehen, warum man SO ist, wird sehr schnell abgelöst durch die Ernüchterung, nicht zu wissen, wie, zur Hölle, man nun damit leben soll. Wieso kriege ich nichts auf die Reihe, wenn ich doch angeblich klug bin? Habe ich eine Art Behinderung? Muss sich ich mich damit jetzt irgendwie arrangieren? Bin ich zum Scheitern verurteilt, weil ich zu schlau bin, um einfach zu leben? So habe ich lange Zeit gedacht.
Mittlerweile bin ich mir sicher, dass die Antwort auf all diese Fragen „Nein“ lautet. Hochbegabte sind nicht zu einem Dasein als „zerstreute(r) Professor/in“ verdammt, und Hochsensible sind keine lebensunfähigen Mimosen. Aber wir brauchen noch eine Portion mehr Selbstachtung als andere Menschen. Und daran zu arbeiten ist die eigentliche Schwierigkeit. Wenn man 40 Jahre lang gelernt hat, dass man anderes ist als die anderen und man damit nicht weit kommt, wie will man sich dann gern haben?
Es ist ein harter, langer Weg. Er braucht Selbstwahrnehmung, Disziplin und Zielstrebigkeit. Aber ich bin angetreten, um zu beweisen, dass auch jemand, der litera(ll)ry challenged ist, es schaffen kann, seine PS sinnvoll auf die Straße zu bringen. Mir schlottern vor Angst die Knie, aber es gibt kein Zurück mehr. Ich habe mich entschieden, aus dem Loch herauszukriechen, in dem ich mich seit meiner Schulzeit versteckt gehalten habe. Ich will all meinen Verrücktheiten, all meiner Kunst den Raum geben, den sie schon immer hätten haben sollen.
Denn so wie früher will ich nicht mehr leben: angstbeladen, von Zweifeln zerfressen und zum Zerreißen angespannt. Und wenn ich auf meinem Weg auch nur einen einzigen Menschen aus demselben Loch herausreißen kann, dann ist das diesen Kreuzzug wert.
Ich weiß, da draußen sind unendlich viele andere künstlerisch begabte Leute, die genauso leiden wie ich es jahrelang getan habe. Als emotionale Menschen sind Künstler dazu prädestiniert, zu leiden. Ich bin mittlerweile der festen Überzeugung, dass das unnötig ist. Wir müssen uns unseren Anlagen stellen – egal wie sie aussehen – und sie lieben lernen, wir müssen begreifen, dass alles, was wir tun, wichtig ist, ob wir nun damit Geld verdienen oder nicht. Wir müssen das Beste aus unseren Talenten machen, um sie für unsere Kunst zu benutzen.
Auf diesem Blog will ich die Probleme blockierter Künstler aus so vielen Blickwinkeln wie nur möglich betrachten. Ich will wissen, wie meine Blockaden entstanden sind. Und ich will Lösungswege gehen. Manche haben mich in den vergangenen Monaten in eine Sackgasse getragen, andere locken mit Licht am Ende des Tunnels.
Und ich werde etwas tun, das mir in den vergangenen Jahren unendlich schwer gefallen ist: Ich werde meine Kunst hier zeigen, die Bilder, die täglich in meinen Kunsttagebüchern entstehen, und meine Texte, meine geliebten Geschichten, allen voran mein aktuelles Projekt mit dem Arbeitstitel „Senca“.
Dieser Blog ist in vielerlei Hinsicht ein Experiment. Eines, das mich aus meiner selbsteingeübten Isolation und Erstarrung herausholen soll. Ich lese jedenfalls wieder, und ja, manchmal schreibe ich auch. Und vor allen Dingen will ich heilen und zu mir stehen können, zu den Dingen, die ich erschaffe. Ich probiere es aus, für mich und für Euch. Und ich freue mich, wenn Ihr mich gelegentlich begleitet.
~ stefanie ~
Kommentar verfassen